Sonntag, 10. Juni 2012

Wirbel um gefälschtes Barnabasevangelium

Eichsfelder Tageblatt, 9.6.2012, Seite 35.

Türkischer Kultusminister präsentiert Fund / Kirche feiert am 11. Juni Namenstag des Heiligen

VON MICHAEL CASPAR

Schwarz sind die Seiten des Buches. Der aramäische Text ist mit goldener Farbe geschrieben. Aramäisch war die Muttersprache Jesu. Es handele sich, so der türkische Kultusminister Ertugrul Günay während einer Pressekonferenz im Februar in Ankara, um eine 1500 Jahre alte Handschrift des Barnabasevangeliums. Barnabas, dessen Namenstag die katholische Kirche am 11. Juni feiert, gehörte bereits zu Jesu Lebzeiten zu dessen Anhängern und arbeitete später mit dem Heidenapostel Paulus zusammen. 

„Die islamische Welt reagierte auf den Fund elektrisiert, zahlreiche Medien griffen das Thema auf“, berichtet der syrisch-orthodoxe Theologe Gabriel Rabo aus Göttingen. Auch Rabos Interesse war groß. In seiner Kirche wird das Aramäische im Gottesdienst verwendet. In Ankara ist nur eine Seite der Handschrift gezeigt worden. Der Theologe hat den abgebildeten Text übersetzt. „Es handelt sich um die letzten beiden Verse des Matthäusevangeliums“, sagt er. Sie würden wörtlich mit der aramäischen Peshitta-Bibel übereinstimmen. Die Handschrift sei jedoch nicht in der Estrangelo-Schrift verfasst, die für 1500 Jahre alte Texte typisch sei. Vielmehr würden ostsyrische Buchstaben verwendet, die erst im 13. Jahrhundert in Gebrauch kamen.

Der letzte Satz auf der Seite, so der Theologe, sei im ostsyrischen Dialekt des Aramäischen formuliert, der erst seit dem 19. Jahrhundert in der Schriftsprache verwendet werde. Es heiße dort: „Im Namen des Herrn wurde dieses Buch durch die Hände der Mönche des Oberen Klosters Ninive im Jahre 1500 des Herrn abgeschrieben.“ Rabo: „Im Text selbst steht also, dass das Manuskript nur 500 Jahre alt ist und selbst das ist viel zu hoch gegriffen.“ 

Warum aber hat der Fund, den Fachleute wie Rabo leicht als Fälschung identifizieren können, ein so starkes Echo in der islamischen Welt gefunden? Was hat es mit dem Barnabasevangelium auf sich? Tatsächlich ist ein solcher Text in der Spätantike bekannt gewesen. Ein Verzeichnis nicht biblischer Schriften aus dem Jahr 496 erwähnt ein solches Evangelium. Jedoch hat kein frühchristlicher Autor jemals aus dieser Schrift zitiert. Bekannt sind dagegen ein Barnabasbrief und die Barnabasakten. Erst im 16. Jahrhundert tauchte ein Barnabasevangelium in Spanien auf. Das älteste vollständige Manuskript ist eine italienische Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert. Sie ist 1908 ins Arabische übersetzt worden und fand unter Muslimen begeisterte Aufnahme. Die Schrift bestätigt nämlich islamische Glaubensüberzeugungen. So bezeichnet sich Jesus in dem Evangelium nur als Prophet, nicht als Sohn Gottes. Nicht er stirbt am Kreuz, sondern Judas. Außerdem kündigt der Barnabas-Jesus einen größeren Propheten an: Mohammed. Der Text wirft zudem Paulus vor, die Botschaft Jesu verfälscht zu haben.

Während sich viele Muslime in ihren Überzeugungen bestätigt sehen, gehen westliche Wissenschaftler davon aus, dass der Text nicht von Barnabas stammt. Sie vermuten, dass ein Jude oder ein Christ, der zum Islam konvertiert ist, die Schrift zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert verfasst hat. Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher, die mit einer Arbeit über das Buch promovierte, macht auf die vielen Merkwürdigkeiten der Schrift aufmerksam. So weist der Barnabas-Jesus mit Nachdruck den Titel eines Messias zurück, der einzig seinem Nachfolger Mohammed gebühre. Gleichzeitig nennt er sich jedoch Christus. Das Wort ist griechisch und bedeutet, ebenso wie das hebräische Messias, „Gesalbter“. 

Seltsam ist, dass der Evangelist glaubt, dass sich Jerusalem vom Meer her mit dem Schiff erreichen lässt. Die Stadt im Binnenland hat jedoch keinen Hafen. Zu den Skurrilitäten gehört zudem, dass der Autor von zehn Himmeln und sieben Höllen spricht. Diese Vorstellung findet sich auch in der „Göttlichen Komödie“ des Dichters Dante Alighieri. Das Evangeliumist 1984 auf Deutsch erschienen. Ein Verlag, der dem Naqschbandi-Sufiorden nahesteht, brachte es heraus.

Quelle im original Text aus dem Eichsfelder Tageblatt.


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